Herbert Baumhackl, Gabriele Habinger, Franz Kolland und Kurt Lugner (Hg.)
Tourismus in der "Dritten Welt". Zur Diskussion einer Entwicklungsperspektive (VERGRIFFEN!)
Das Wachstum der Tourismusbranche in Entwicklungsländern wird seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert. Der Ausbau dieses Wirtschaftssektors führt zu einer stärkeren Integration in die Weltwirtschaft, deren ökonomische und politische Effekte je nach Einschätzung positiv oder negativ betrachtet werden. In den 1970er und 1980er Jahren beeinflusste die Auseinandersetzung zwischen Modernisierungs- und Dependenztheorie die Diskussion wesentlich. Aus modernisierungstheoretischer Sicht wurde Tourismus als Chance einer nachholenden Entwicklung begriffen. Als Vorteile wurden die Schaffung von Arbeitsplätzen, Devisen- und Steuereinnahmen sowie Umwegrentabilität gesehen. Zudem attestierte man diesem Sektor unter dem Schlagwort der "weißen Industrie" eine geringere Umweltbelastung.
Dieser positiven Betrachtung setzten kritische Studien, die im weitesten Sinn der Dependenzdiskussion zugeordnet werden können, eine deutlich skeptischere Einschätzung entgegen. Sie sahen im Tourismus weniger eine Möglichkeit zur Entwicklung als eine zur Unterentwicklung, also eine in Richtung abhängige Integration. Den reichen Ländern wurde ökonomische Dominanz vorgeworfen, die den Großteil der Einkünfte aus dem Tourismusgeschäft in die Zentralräume Westeuropas und Nordamerikas fließen ließ. Zwar würden, so die dependenztheoretische Sicht, einige lokale Gruppen vom Wachstum des Tourismus profitieren, dies wären jedoch nicht gesellschaftlich benachteiligte Schichten, sondern Eliten, die sich ihren Pakt mit den westlichen Investoren bezahlen ließen.
Es war die Zunahme der Zahl der Touristen in den 1970er Jahren in bis dahin wenig erschlossenen Regionen, die die ökologischen, kulturellen und sozialen Folgen bewusster machte. Die entwicklungspolitisch bedenklichen Wirkungen des Tourismus einerseits und die privatwirtschaftliche Ausrichtung andererseits haben dazu geführt, dass touristische Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit zunehmend nachrangig behandelt wurden.
Erst die Idee des "nachhaltigen Tourismus" hat ab Mitte der 1990er Jahre zu einem Wandel der Einstellung geführt. Und seit 2002 gilt der Tourismus wieder als Entwicklungsmotor - insbesondere in den am wenigsten entwickelten Ländern. Als neue Fragen stellen sich: Welches sind die wichtigsten ökonomischen Aktivitäten eines Landes? Wie ist es zu dieser Prioritätensetzung gekommen? Wer steht hinter diesen Aktivitäten und kontrolliert sie? Dieser Ansatz eröffnet die Möglichkeit, nach den bestimmenden Entwicklungsmustern im Tourismus zu fragen, d.h. die analytische Perspektive in den Vordergrund zu stellen.