Editorial
Die ab dem Jahr 1982 erfolgte Implementierung des neoliberalen Projekts in Mexiko wurde als eine Serie von passiven Revolutionen beschrieben. Trotz der kaum vorhandenen materiellen Zugeständnisse an die subalternen Gruppen gelang es, das neoliberale Herrschaftsprojekt auf die Basis eines fragilen passiven Konsenses zu stellen. Dieser zeigte jedoch schon bald erste Risse, wie die breite Unterstützung des Aufstands der Zapatisten von 1994 veranschaulicht. Der historische Regierungswechsel im Jahr 2000 beschleunigte den Zusammenbruch der neoliberalen Stabilitätsreserven und mündete ab 2003 in eine umfassende Hegemoniekrise. Bestes Beispiel dafür ist der Wahlbetrug im Rahmen der Präsidentschaftswahlen von 2006, der den Sieg des linksgerichteten Kandidaten verhinderte. Obwohl sich die subalternen Gruppen in der Hegemoniekrise neu positionieren konnten, ist es ihnen nicht gelungen, ihre Fragmentierung zu überwinden und die nationalen Kräfteverhältnisse zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Der Wahlerfolg der Partei der Institutionellen Revolution (Partido Revolucionario Institucional, PRI) in den Kongresswahlen Mitte 2009, die Konturen eines autoritären und militarisierten Staates und der enorme Einfluss der Fernsehunternehmen auf die öffentliche Meinung deuten eher auf eine konservative Lösung der Krise neoliberaler Hegemonie hin.
Der Wahlsieg des Gewerkschaftsführers Luiz Inácio Lula da Silva im Jahr 2002 löste viele Erwartungen an die neue Regierung unter der Führung der Arbeiterpartei aus. Nach fast zwei Regierungsperioden ist klar, dass Lula nicht die gegen-hegemonialen Kämpfe innerhalb der Zivilgesellschaft repräsentiert, die der Vorherrschaft des transnational artikulierten Finanzkapitals alternative gesellschaftliche Projekte entgegenstellen. Lulas Regierung, so die Hypothese des vorliegenden Beitrags, ist nicht Ausdruck dieser gegenhegemonialen Kämpfe, sondern versucht, sich über die Auseinandersetzungen zwischen den antagonistischen Kräften des Landes zu stellen. Die Analyse der wichtigsten Momente der Regierung unter Lula zeigt sowohl ihre Distanz zu den sozialen Bewegungen als auch eine Wirtschaftspolitik, die trotz einiger Zugeständnisse an die marginalisierten Gesellschaftssektoren den oligarchischen Gruppen der großen Industriekonzerne und der Finanzunternehmen zugute kommt. Die Beziehung Lulas zu großen Teilen der Bevölkerung zeichnet sich damit nicht durch eine aktive Organisierung der subalternen Kräfte aus, sondern durch einen neopopulistisch geprägten Assistenzialismus.
Der Wahlsieg von Evo Morales im Dezember 2005 ist eines der wichtigsten Ereignisse in Lateinamerika zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Der Beitrag untersucht die Gründe der Regierungsübernahme durch die Bewegung zum Sozialismus (Movimiento al Socialismo, MAS) und ihren indigenen Anführer. Den AutorInnen zufolge sind diese vor allem in den Mobilisierungen seit dem Jahr 2000 zu suchen. Die Analyse konzentriert sich hauptsächlich auf die Aufstände im Mai und Juni 2005. Diese setzten nicht nur die Forderungen einer Verstaatlichung der nationalen Öl- und Gasvorkommen und die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung auf die Tagesordnung, sondern hatten auch den Rücktritt von Präsident Carlos Mesa zur Folge. Die Untersuchung dieser Ereignisse stützt sich auf die theoretischen Beiträge des bolivianischen Intellektuellen und Politikers René Zavaleta Mercado. Nach einer kurzen Einführung zu dessen Leben und Werk nimmt sich der Beitrag zum Ziel, sein von Gramsci inspiriertes Verständnis des National-popularen für die Analyse der jüngsten Vergangenheit des Landes fruchtbar zu machen.
Ausgehend von einigen allgemeinen Überlegungen zu den lateinamerikanischen Transformationsprozessen an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert nimmt sich der vorliegende Beitrag zum Ziel, die jüngste Vergangenheit Ekuadors nachzuzeichnen. Dies geschieht im Rahmen einer Lektüre Gramscis, dessen Überlegungen auf die Realität der ekuadorianischen Gesellschaft übertragen werden. Die sozialen und politischen Prozesse bis zum Regierungsantritt von Rafael Correa, so die These, lassen auf die Entstehung eines gegen-hegemonialen Projekts schließen, das von den heterogenen subalternen Gesellschaftssektoren des Landes vorangetrieben wird.
Gegenstand des vorliegenden Beitrags sind die sozialen und politischen Transformationsprozesse nach dem Ende des salvadorianischen Bürgerkriegs 1992. Aufgrund wirtschaftlicher Diversifizierungsprozesse und der Nachwehen des Bürgerkriegs konnte sich in den 1990er Jahren eine hegemoniale Konstellation unter neoliberalen Vorzeichen etablieren, die von den oligarchischen Kräften des Landes getragen wurde. Das neoliberale Herrschaftsprojekt geriet jedoch schon ab 1999 wieder unter Beschuss. Unter Mitwirkung der Gewerkschaftsbewegung gelang eine allmähliche Neuausrichtung der subalternen Kräfte des Landes, die im März 2009 schließlich im Wahlsieg der Nationalen Befreiungsfront Farabundo Martí (Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional, FMLN) unter dem Kandidaten Mauricio Funes gipfelte. Unabhängig vom politischen Willen erweist sich der Gestaltungsspielraum der neuen Regierung jedoch als relativ eng. Dies gilt nicht nur in Hinblick auf die oligarchischen Kräfte sondern auch bezüglich der möglichen Konflikte zwischen dem Präsidenten und der FMLN.