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Internationalistischer Nationalismus: Nationale Befreiung und Panafrikanismus.

Nationalismus und Internationalismus können Hand in Hand gehen. Am Beispiel von Ghanas und Algeriens Unabhängigkeitsbewegungen untersucht Lisa Hoppel in ihrem neuen Buch Strategien und Konsequenzen einer wirtschaftlichen und kulturellen Einheit Afrikas zwischen 1945 und 1963.

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Die Buchvorstellung über „Internationalistischer Nationalismus“, erschienen beim Promedia Verlag, fand am 14. Oktober 2019 im C3 – Zentrum für Internationale Entwicklung statt. Mit Eric Burton (Historiker, Universität Innsbruck) und Andrea Komlosy (Wirtschafts- und Sozialhistorikerin, Universität Wien) sprach die Autorin Lisa Hoppel über Entwicklungen und Effekte des Panafrikanismus. In der Publikation präsentierte Thesen und Forschungsergebnisse wurden vor dem Hintergrund unterschiedlicher akademischer Disziplinen diskutiert.

Alternativen zur imperialen Weltordnung entstehen.

 

In der Zeit des Hochimperialismus bildeten sich in London, Moskau und Paris Gruppen von Intellektuellen aus ehemals europäischen Kolonien. Sie entwickelten alternative Denkansätze und forderten die imperiale Weltordnung heraus. Revolutionäre Ideen der Russischen Oktoberrevolution flossen in neue Befreiungskonzepte ein. Später bildeten sich in afrikanischen Ländern wie Tansania und Ägypten Zentren der ‚Dekolonisierung‘. Der Panafrikanismus konnte sich nun als staatsbezogene Befreiungsideologie entfalten. „Geschehnisse können nicht isoliert gesehen werden“, betonte Komlosy. In der Publikation sei diese entangled history (dt. verwickelte Geschichte) facettenreich dargestellt.

 

Die „Dritte Welt“ bildet sich heraus.

Nach dem ersten Weltkrieg zeichnete sich der Ost-West-Konflikt ab, führte Komlosy aus. Afrikanische Staaten fühlten sich weder zum kapitalistischen noch zum kommunistischen Block zugehörig. Stattdessen erfuhren sie sich als etwas Drittes. Die blockfreien Staaten schlossen sich zusammen und der Third Worldism (dt. Dritte Welt) entstand. In kolonialisierten Gebieten bildeten sich unterschiedliche Bewegungen mit der Frage, wie nationale Grenzen neu gezogen werden konnten. Die Bestimmungen der Kolonialmächte wurden immer wieder neu diskutiert. Auch die Zwangsrekrutierung von Soldaten aus afrikanischen Ländern für den Zweiten Weltkrieg und das damit verbundene home coming (dt. zurückkehren) stellt laut Komlosy einen entscheidenden Moment in der Entwicklung des Panafrikanismus dar. Viele Männer wurden um 1939 von europäischen Kolonialmächten eingesetzt. Bei deren Rückkehr nach 1945 entstanden durch ihre Erlebnisse neue Sichtweisen. Das Verhältnis zu den Kolonisatoren änderte sich maßgeblich.

 

Ghana: Panafrikanismus gegen Neo-Kolonialismus.

Im 20. Jahrhundert bildeten sich Unabhängigkeitsbewegungen auf dem afrikanischen Kontinent. Befreiungskämpfer*innen aus Ghana griffen revolutionäre Denkansätze auf, die zur Zeit des Hochimperialismus in europäischen Metropolen entstanden waren und wandelten sie ihrem eigenen Kontext entsprechend an. Kwame Nkrumah führte Ghana 1957 in die Unabhängigkeit. Für Nkrumah war der Kampf um Autonomie damit jedoch nicht abgeschlossen. Nationale Unabhängigkeit war ein Teil des Weges, nicht aber das Ziel der Kämpfe. Er strebte nach nationaler Unabhängigkeit mit einem panafrikanischen Anspruch. Laut Hoppel ging es Nkrumah neben kultureller Selbstbestimmung vor allem um wirtschaftliche Unabhängigkeit. Die Auswirkungen des Kolonialismus waren auch nach der nationalen Unabhängigkeit vieler afrikanischer Länder noch präsent. Ein Zusammenschluss afrikanischer Staaten sollte diesem Neo-Kolonialismus Einhalt gebieten.

 

Algerien: Erfahrungen nationaler Befreiungskämpfe für den afrikanischen Kontinent.

Algerien werde laut Hoppel im Hinblick auf den Panafrikanismus selten thematisiert. Besonders die Ideen von Frantz Fanon waren in diesem Zusammenhang jedoch auschlaggebend. Sein Denken hätte sowohl Panafrikanismus als auch Third Worldism maßgeblich vorangetrieben. 1962 erkämpfte sich das Land die Unabhängigkeit von der französischen Kolonialmacht. Akteure strebten infolgedessen an, Strategien nationaler Befreiungskämpfe auf den gesamten Kontinent zu übertragen. Die spontane, revolutionäre Einigung der afrikanischen Länder sollte in einer langfristigen, politischen Einheit aufgehen. Hier zeigte sich, wie panafrikanistisches Gedankengut für die Befreiung einer Nation eingesetzt werden konnte. Gleichzeitig überschritten Impulse und Entwicklungen des Befreiungskampfes die Grenzen ihres nationalen Anwendungsgebiets. Sie trugen dazu bei, den Panafrikanismus zu erweitern und zu aktualisieren.

 

Panafrikanismus nach 1963.

Nach 1963 lebte der radikal politisch orientierte Panafrikanismus laut Hoppel ab. Mit dem Zusammenschluss der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) setzten sich konservative, prowestliche Tendenzen durch. Die streng neutralistischen und anti-kolonialen Vorstellungen der Casablanca Gruppe, einem Zusammenschluss an afrikanischen Staaten, zu denen auch Ghana und Algerien zählen, wurden dem gemäßigten Kurs angepasst. Für Komlosy ist in diesen Entwicklungen ein großer Teil radikal subversiver Energien verloren gegangen. Auf der anderen Seite jedoch sei der Fortgang ein großer Erfolg. Der Panafrikanismus zeige sich hierin als internationale Zusammenarbeit, nicht jedoch als festgelegtes Projekt. Der panafrikanische Aufbruch, so Komlosy, könne auch heutige Bewegungen inspirieren. Ideen hätten das Potenzial, in einer anderen Form aufgegriffen zu werden.

Denn: Zu keiner Zeit lägen globale Hierarchisierung und Segregation im Interesse der Mehrheit.

 

 

Luana Schäfer Praktikantin im Paulo Freire Zentrum. Reaktionen bitte an redaktion@pfz.at.

Fotos: © Monika Austaller, Paulo Freire Zentrum.

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