Veranstaltungsbericht

Jäger und Sammler in der industrialisierten Welt

Wie wirken sich Industrialisierung und Globalisierung auf Jäger und Sammler-Gesellschaften aus? Welchen Einfluss haben transnationale Unternehmen und politische Institutionen? Diese und noch weitere spannende Fragen behandelt die Ausgabe „Hunters and Gatherers in the Industrialised World“ des Journals für Entwicklungspolitik.

Am 27. Juni 2017 wurde das Schwerpunktheft im Volkskundemuseum im Rahmen einer Panel-Runde mit anschließender Publikumsdiskussion vorgestellt. Gertrude Saxinger (Herausgeberin), Khaled Hakami (Herausgeber) und Alberto Buela (Autor) sprachen unter der Moderation von Gregor Seidl (JEP-Redakteur) über den Wandel von Jäger und Sammler-Gesellschaften aus historischer Perspektive.

 

 

 

 

Wandel der Jäger und Sammler-Gesellschaften.

 

Die Veranstaltung begann mit einem Impulsreferat von Alberto Buela über den Wandel innerhalb von Jäger und Sammler-Gesellschaften auf Grund der Integration in Industriegesellschaften, dargestellt am Beispiel der Iñupiats in Alaska. Er legte dar, wie sich infrastrukturelle und strukturelle Faktoren auf das Wirtschaften und Leben der Iñupiats auswirkt und welche Veränderungen damit einhergehen. So haben sich nicht nur Subsysteme wie Marktwirtschaft, Lohnarbeit und bürokratische Strukturen etabliert, sondern seien auch soziokulturelle Modifikationen, wie beispielsweise eine geschlechtliche Arbeitsteilung, auszumachen. Diese Neuerungen seien jedoch mit „traditioneller“ Organisation von Arbeit und Gesellschaft verbunden worden. Ein Beispiel hierfür wäre die Verwendung von Aluminiumbooten anstatt von Fellbooten, was Auswirkungen auf Mobilität und Jagdtechniken zur Folge hatte. Abschließend hielt Alberto Buela fest, dass eine Inklusion in staatliche Strukturen und eine Industriegesellschaft mit Veränderung in Subsistenz, Technologie, (Sozio-)Kultur und Energieressourcen einhergehe.

                       

 

Jäger und Sammler – ein Definitionsversuch.

 

Nach Alberto Buelas Präsentation beschäftigte sich das Podium zunächst mit der Frage, was denn Jäger und Sammlergesellschaften genau ausmache. Diese werden üblicherweise, wie es der Name bereits vermuten lässt, durch Jagen und Sammeln definiert. Da jedoch auch Gesellschaften dieser Kategorie zugeordnet werden, die nicht ausschließlich vom Jagen und Sammeln leben, sei die Definition nicht ausreichend. Durch Kontakt zu und Einfluss von der Außenwelt werden neue Aspekte in die Jäger und Sammler Gesellschaften integriert, was zu verschiedenen Formen der „mixed economies“ (dt.: gemischte Wirtschaftsordnung) führe, so Khaled Hakami.

 

 

Der Einfluss von außen in Vergangenheit und Gegenwart.

 

Gertrude Saxinger erklärte daraufhin, dass prinzipiell jede Gesellschaft sozialem Wandel unterliege und ausschlaggebend sei, wie schnell dieser von statten geht und wodurch er ausgelöst wurde. Der Wandel vieler Jäger und Sammler-Gesellschaften sei durch Kolonialismus und später durch Industrialisierung sowie Globalisierung begründet. Durch die oftmals rapide Veränderung der Gesellschaft sei es zum radikalen Wandel der Kulturtechniken gekommen. Dennoch sei Jagen und Sammeln für viele nach wie vor fundamentaler Bestandteil der sozialen Organisation, auch wenn sich die Technik geändert habe.

 

Khaled Hakami fügte hinzu, dass Kontakt zu anderen Gesellschaften aber nicht automatisch eine Gefahr sei. So könne Tourismus auch eine Chance für Jäger und Sammler darstellen, da durch TouristInnen auch das Medieninteresse an einer Region und der dort ansässigen Bevölkerung steige. Doch auch wenn Tourismus häufig das „geringste Übel“ sei, so handle es sich dennoch um ein zweischneidiges Schwert.

 

 

Konflikte und Möglichkeiten.

 

Gertrude Saxinger und Khaled Hakami zeigten außerdem die großen Unterschiede bei Gesellschaften der Sammelkategorie „Jäger und Sammler“ auf. Diese seien Länder- beziehungsweise Kontinentspezifisch und man könne Unterschiede hinsichtlich der Möglichkeiten indigener Völker zwischen globalem Süden und globalem Norden, sowie zwischen demokratischen und nicht-demokratischen Nationen ausmachen. Der Staat an sich sei ebenfalls von Bedeutung: Welche Rechtsvorgaben gibt es? Wie verbreitet ist Korruption? So gebe es zum Beispiel in den Vereinigten Staaten Möglichkeiten für Lobbying, in Asien stelle sich dies jedoch viel schwieriger dar.

 

Auch spielen Unternehmen eine wichtige Rolle. Wenn Unternehmen Ressourcen im Lebensraum von indigenen Völkern abbauen, wollen sie eine gewisse rechtliche und soziale Sicherheit, wodurch es in manchen Fällen zu Verträgen zwischen Lokalbevölkerung und Unternehmen kommt. Auch werde die Corporate Social Responsibility (dt.: Unternehmerische Gesellschaftsverantwortung) immer wichtiger, da einige Unternehmen gegenüber „Shareholdern“ (dt.: Teilhabern) Nachhaltigkeitsberichte abliefern müssen, so Gertrude Saxinger.

 

 

Persönliche Erfahrungen als ForscherIn.

 

Der Abschlussteil der Podiumsdiskussion behandelte persönliche Erfahrungen der Forschenden. Alberto Buela erzählte, dass er mit unterschiedlichen Erwartungen von Seiten der Jäger und Sammler-Gesellschaft und manchmal auch Desinteresse an seiner Forschung konfrontiert war.

 

Khaled Hakami betonte, dass man in Einzelfällen – wie im Zusammenhang seiner Forschung über das Volk „Mani“ – einer „sterbenden Kultur“ zusehen und dieser Umstand stelle eine besondere Herausforderung dar. Hinzu komme noch das Wissen, dass man kaum etwas dagegen unternehmen könne und man vor Ort bemerke, wie wenig Einfluss man wirklich auf die Entwicklungen habe. Zusätzlich dazu gäbe es Probleme mit Korruption, Unternehmen und der Regierung. Außerdem schien das Volk zu dem er forschte, die Mani, keinerlei Interesse an der Außenwelt zu haben, wodurch sich die Kontaktaufnahme und Kommunikation schwierig gestaltete.

 

Gertrude Saxinger meinte, dass die Erfahrungen je nach Setting unterschiedlich seien. Wichtig sei jedoch, dass die Fragestellung und der Forschungsinhalt auf Augenhöhe formuliert werden. Auch sollten die Ergebnisse der Forschung an die untersuchte Gruppe zurückgeführt und öffentlichkeitswirksam aufbereitet werden.

 

 

Fragen und Antworten.

 

Im letzten Part der Veranstaltung kam es zu einer offenen Diskussion, bei der die Schwerpunktredaktion Publikumsfragen beantwortete. Im Dialog sprachen ZuhörerInnen und AutorInnen über (Gender)Egalität, Sesshaftwerdung und Kommunikation von Jäger und Sammler- Gesellschaften. Abschließend wurde nochmal der sozial-ökologische Kontext, also die Verwobenheit von Ökologie und Gesellschaft betont – es seien meist schwerwiegende ökologische Veränderungen, die zu systemischen sozialen Veränderungen führen.

 

 

Die Autorin ist Praktikantin im Paulo Freire Zentrum. Reaktionen bitte an redaktion@pfz.at

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