Fotostrecke & Veranstaltungsbericht

Muss Entwicklung schmutzig sein?

Am 29. November 2016 luden der Mattersburger Kreis und das Klimabündnis Österreich zur Veranstaltung "Muss Entwicklung schmutzig sein? Wachstum, Armut und Umwelt im 21. Jahrhundert". Der Andrang im Depot unterstrich das Interesse an diesem aktuellen Thema.

 

 

 

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Muss Entwicklung schmutzig sein?

 

Anlässlich des kürzlich erschienen Buches der HSK-Reihe „Rohstoffe und Entwicklung. Aktuelle Auseinandersetzungen im historischen Kontext“ drängten sich rund 100 BesucherInnen in den Veranstaltungsraum des Depots, um die Diskussion zu verfolgen, die Lukas Schmidt (Mattersburger Kreis) moderierte. Marina Fischer-Kowalski (Gründerin und Leiterin des Instituts für Soziale Ökologie in Wien), Beate Littig (Soziologin und Leiterin der Einheit sozial-ökologische Transformationsforschung am IHS) und Karin Fischer (Leiterin der Abteilung Politik und Entwicklungsforschung am Institut für Soziologie der Johannes Kepler Universität Linz) saßen am Podium.

 

Wechselspiel zwischen Ressourcennutzung und gesellschaftlicher Entwicklung.

 

Rohstoffnutzung und die daran gekoppelten Entwicklungsmöglichkeiten waren schon immer ein brennendes Thema. Doch aktuell, zwischen Euphorie (durch das Pariser Klimaabkommen) und Bangen (durch den Schatten eines den Klimawandel negierenden US-Präsidenten), ist die Frage, ob eine „saubere“ Entwicklung möglich ist, umso dringlicher, leitete Lukas Schmidt ein.

Die enge Kopplung von Wachstum an Ressourcennutzung habe historische Wurzeln, begann Marina Fischer-Kowalski ihren Beitrag. Dass das globale Bruttoinlandsprodukt im 20. Jahrhundert mehr als doppelt so schnell wie die Ressourcenextraktion gewachsen ist, deute jedoch auf eine graduelle Entkoppelung hin. Prinzipiell vollziehen Gesellschaften eine wesentliche Veränderung des Ressourcenverbrauchs, wenn sie auf Energiequellen zurückgreifen, die, über einen höheren Netto-Energiegehalt verfügen als Pflanzen, (wie Kohle, Öl und Gas - die wesentlichen Energielieferanten agrarischer Gesellschaften). Durch eine solche „industrielle Transformation“ nehme das Einkommen und der daran gekoppelte Ressourcenverbrauch pro Kopf zu und die Bevölkerung typischerweise ab. Erst aktuell sei zu beobachten, dass der Verbrauch in einigen Ländern stagniere, so Fischer-Kowalski.

 

Neue Muster oder unveränderte Strukturen?

 

Das bedeute, dass die derzeitige Ressourcendynamik insbesondere von der „nachholenden Entwicklung“ der Schwellenländer getrieben sei. Außerdem beginne sich die Rollenverteilung der Entwicklungsländer als Rohstofflieferanten und der Industrieländer als Rohstoffkonsumenten aufzulösen. Diese geschehe besonders deswegen, weil nun vermehrt auch in asiatischen Ländern der Export verarbeiteter Produkte dominiere, während Industrieländer wie Kanada oder Australien zu wichtigen Rohstofflieferanten zählen. Diesem neuen Muster widersprach Karin Fischer jedoch: Es gäbe in dieser Hinsicht keine Annäherung der alten räumlichen Ungleichheiten zwischen globalem Süden und Norden, sowohl in der Ressourcenbereitstellung als auch im Naturverbrauch. In die Rolle der Rohstofflieferanten gezwungen, basiere die „nachholende Entwicklung“ vieler Länder des globalen Südens weiterhin auf billiger Lohnarbeit für den Export. Wachstumsprozesse einiger Länder, beispielsweise China, täuschten über die bestehende „robuste Weltungleichheitsordnung“ und die auseinandergehe Einkommensschere innerhalb der Länder hinweg.

 

Problemverlagerung ist keine Problemlösung

 

Beate Littig ergänzte, dass sie die „ökologischen Probleme“ von Entwicklung als Teil einer „multiplen Krise“ der gesellschaftlichen Naturverhältnisse verstehe, in der sich die soziale Krise des Wohlfahrtsstaates mit der Krise der Demokratie und der ökologischen Krise verbinde und durch die es kein „weiter wie bisher“ geben könne. Schon der Soziologe Burkart Lutz prophezeite in den 1980er Jahren, dass es sich bei dem Massenproduktions- und Konsummodell der Nachkriegszeit nur um einen „kurze[n] Traum der immerwährenden Prosperität“ handle. Auch wenn es in einigen Ländern zu einer Abnahme des Ressourcenverbrauches komme, gehe diese Entwicklung häufig mit einer Externalisierung von sozialen und ökologischen Kosten in andere Länder einher. Das bedinge und basiere auf einer Ungleichheit zwischen den Ländern des globalen Südens und Nordens aber auch denen des globalen Ostens und Westens. Dennoch, so Marina Fischer-Kowalski, sei es für das Wachstum von Ländern in der Regel besser, Arbeitskraft zu exportieren als Rohstoffe. Karin Fischer stimmte zu: Jegliche Industriestruktur, auch wenn sie schlecht ist, sei besser, als wenn die Wirtschaft auf Rohstoffexporten basiere.

 

Alternative (Un)möglichkeiten?

 

Die notwendigen nachhaltigen Alternativen zu diesen Entwicklungspfaden seien bislang nur Krisen-initiiert entstanden, erklärte sie weiter. Gerade im globalen Norden, der die „imperiale Lebensweise“ in alle Welt exportiere, ergänzte Beate Littig, müssten daher neue Richtungen eingeschlagen werden – neue Leitbilder und Vorstellungen von Wohlstand, die sich von materiellen Werten lösen. Ob das sogenannte „green growth“, das „Wachstum über technologische Innovationen begrünen soll“, eine echte „win-win“ Situation für Ökonomie und Ökologie darstelle, sei jedoch fraglich. Die Diskussion um diese Form des Wachstums sei zu stark technologiegeleitet. Zustimmend fügte Marina Fischer-Kowalski hinzu, dass jedoch gerade die erforderlichen tiefgreifenden gesellschaftlichen Transformationen Zeit bräuchten und vermutlich zu harten Verteilungskämpfen führen werden, ergänzte Karin Fischer. Bestehende Alternativen wie sie von der „degrowth“ und Ernährungssouveränitäts-Bewegung oder Ansätzen zu regionalisierten Wirtschaftskreisläufen vorgeschlagen werden, brauchen politischen Willen zur Umsetzung. Beate Littig schloss an, dass dabei Demokratie nicht immer unterstützend wirke. Es bräuchte vielmehr eine „experimentelle Demokratie“, die neue Wege und Ansätze in zeitlich begrenzten Experimenten ausprobiere und dadurch Erfahrungen sammele, um Innovationen und Veränderung in Gang zu bringen.

 

Von Charlotte Kottusch

 

 

Die Autorin ist Mitglied im Redaktionsteam des Paulo Freire Zentrum. Reaktionen bitte an redaktion@pfz.at

 

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